„Unconscious Bias“ im Bewerber-Screening
Primacy-Effekt, Halo-Effekt und Lookismus
Unbewusste Wahrnehmungsverzerrungen („Unconcious Bias“) wie zum Beispiel Vorurteile, Voreingenommenheit und Stereotypisierungen kennen wir alle. Bei Personalentscheidungen spielen sie eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, für welchen der Bewerberinnen und Bewerber man sich am Ende eines Auswahlverfahrens final entscheidet. Deshalb werden Auswahlgremien auch geschult, um unbewusste Beurteilungsverzerrungen zu erkennen, damit es nicht zu Fehlentscheidungen kommt. Meist merken Führungskräfte erst in der Probezeit oder danach, dass sie auf einen Blender oder eine Hochstaplerin reingefallen sind, weil sie unbewusst zu stark Äußerlichkeiten oder einzelne Merkmale überbewertet haben.
Die rechtssichere und anforderungsorientierte Vorauswahl von Bewerbenden ist aktuell im Zeitalter von KI-gestützten Algorithmen kein Zuckerschlecken für Personalabteilungen und Führungskräften aus dem öffentlichen Dienst. Denn:
.
Stattdessen schicken interessierte Bewerbende lieber eine kurze One-Klick-Bewerbung via Smartphone, signalisieren ihr Interesse und warten ab, ob der Arbeitgeber reagiert. Oft wird dieser erste Kontakt zudem automatisiert durch eine Jobbörse ausgelöst, wenn Bewerbende entsprechende Schlagwörter verlinkt haben. Was für Bewerbende unkompliziert und smart ist, bedeutet für öffentliche Arbeitgeber zusätzlichen Aufwand, da alle eingehenden Bewerbungsunterlagen aufgrund des Rechtsrahmens sorgfältig gesichtet, nachgefordert und geprüft werden müssen, um Klagen rund um Diskriminierung und Benachteiligung zu vermeiden.
Was viele nicht wissen: bestimmte Teile der „klassischen“ Bewerbungsmappe sind rechtlich nicht unbedingt zwingend – wie z. B. Foto und Motivationsschreiben. Deshalb dürfen das Fehlen eines Fotos oder des Anschreibens bei der Vorauswahl nicht negativ bewertet werden.
- Wer kein Foto mitschickt, hat etwas zu verbergen
- Wer sich nicht einmal die Mühe eines Anschreibens macht, ist faul und demotiviert
- Wer keinen lückenlosen Lebenslauf vorweisen kann, ist bestimmt oft gekündigt worden
- Wer häufiger wechselt, ist unbeständig und unzuverlässig
.
Schon bei der ersten Sichtung von Bewerbungsunterlagen greift der sogenannte Primacy-Effekt (erster Eindruck), denn die zuerst aufgenommenen Informationen können bereits ein vorschnelles Urteil über die Persönlichkeit einer Person auslösen. Ist dieser erste Eindruck positiv und sticht zudem ein Merkmal (z. B. ein sympathisches Foto) besonders heraus (Halo-Effekt), neigen wir schnell dazu, dieser Person auch weitere positive Eigenschaften zuzuschreiben, obwohl wir die Person weder kennen noch bezogen auf die Anforderungen der Stelle geprüft haben.
Beispiel:
Wer so sympathisch auf dem Foto aussieht, ist bestimmt auch freundlich, kommunikativ, motiviert, sozialkompetent, serviceorientiert, teamorientiert usw.
Jetzt greift auch die sich selbst-erfüllende Prophezeiung, denn ab jetzt sind wir großzügiger, reden uns die Bewerbungsunterlagen „schön“ und lockern im schlimmsten Fall die rechtlichen Muss-Kriterien.
Ist der erste Eindruck dagegen negativ – z. B. ein unattraktives oder gar kein Foto, Tippfehler in der E-Mail, kein Motivationsschreiben o. ä. – spricht man vom Horn-Effekt (ein einziges oder erstes negatives Merkmal überstrahlt andere positive Merkmale).
Auch die unbewusste Bewertung von Äußerlichkeiten (z. B. Hautfarbe, Geschlecht, Alter, Aussehen) spielt in dieser Prozessphase eine große Rolle. Dafür hat sich mittlerweile der Fachbegriff Lookismus (von engl. „look“) etabliert.
.
Im Bewerber-Screening ist die Sensibilisierung für diese unbewussten Verzerrungen umso wichtiger geworden, da Vorurteile und stereotype Zuschreibungen schnell dazu führen können, dass möglicherweise gut geeignete Fach- und Führungskräfte aufgrund einer One-Klick-Bewerbung zu früh aussortiert werden. Losgelöst davon gehören viele dieser typischen unbewussten Beurteilungsfehler zu dem Kanon der definierten Benachteiligungen oder Diskriminierungen im Sinne des AGG und sind rechtlich gefährlich.
..
Hier ein Mini-Guide „Unconscious Bias“ zum Downloaden
Deshalb hilft es Recruiting-Teams und Führungskräften, wenn sie sich intern gemeinsam für dieses Thema sensibilisieren und fachlich fit machen. Entscheidungsfehler sind in der frühen Phase der Vorauswahl bezogen auf den gesamten Auswahlprozess nicht mehr zu korrigieren. Es braucht ein positiveres „Mindset“ in den Auswahlgremien, denn Bewerbende drücken mit der Versendung einer One-Klick-Bewerbung nicht mangelndes Interesse, Faulheit oder Demotivation aus. Vielmehr machen sie es Arbeitgebern aus ihrer Sicht leicht und schnell: sie schicken ein kurzes Kompetenzprofil, so dass der Arbeitgeber schauen kann, ob die beruflichen Erfahrungen und Qualifizierungen grundsätzlich für die ausgeschriebene Stelle interessant sein könnten. Ist der Arbeitgeber interessiert, kann er die notwendigen Unterlagen (Hard Skills wie Zeugnisse, Abschlüsse u. ä.) nachfordern. Diese Schleife müssen öffentliche Arbeitgeber aus rechtlichen Gründen zwingend drehen. Das macht zwar zusätzlich Arbeit, birgt aber auch viele Vorteile, denn damit sind sie nun in einem Erstkontakt mit einem möglicherweise gut qualifizierten Bewerbenden und können bereits eine erste Bindung aufbauen.
(Artikel erstellt am 16.06.2025)
.
Unsere Seminartipps zum Thema
Tandem: Bewerber-Screening & Background-Checks im Recruiting – Möglichkeiten & rechtliche Grenzen im öD am 02.07.2025 (online)
„Beobachtertraining“: Crashkurs für Führungskräfte, Gremien & Personaler*innen am 07.07.2025 (online)
.
Geschäftsführerin PIW
Beratungs- und Trainingsschwerpunkte
- Recruiting & rechtssichere Personalauswahl im ÖD
- Konzeption und Durchführung von Assessment Centern & Potenzialanalysen
- Führungskräfteentwicklung und -training
- Organisationsberatung und Prozessbegleitung von OE-/ Change-Prozessen
- Einzel- und Teamcoaching
Bleiben Sie immer up-to-date mit unserem Newsletter!
Aus Gründen der Lesbarkeit wird in diesem Artikel gelegentlich nur die männliche oder weibliche Form verwendet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten für alle Geschlechter (m/w/d).